Job-Shadowing in Scordia

Job Shadowing an der sizilianischen Schule I.S. „Ettore Majorana“ Liceo Scientifico in Scordia, 18. bis 25. März 2023

Dieser Job Shadowing Besuch war unser Erstkontakt mit der sizilianischen Schule, der zeitgleich angebunden an unsere erste Schülermobilität im Rahmen von Erasmus Plus stattgefunden hat.

Die Schule ‚Ettore Majorana‘ Liceo Scientifico nimmt seit 22 Jahren an Erasmusprogrammen teil und ist somit ein erfahrener Partner, der u.a. auch Mitglied im Euro School Net 2000 ist. Sie fördert und unterstützt die Teilnahme ihrer Schülerinnen und Schüler an individuellen, internationalen Mobilitäten in der Überzeugung, dass diese eine internationale pädagogische Erfahrung für die teilnehmenden Schüler und Lehrkräfte darstellen und damit die internationale Dimension der Schule weiterentwickeln.

Insofern war es sehr interessant zu beobachten, wie das Erasmusprogramm in der Schule integriert und gelebt wird; z.B. wurden auf einem großen Monitor im Eingangsbereich aktuelle Filme von Schülermobilitäten gezeigt. Zur Förderung der Projektarbeit, u.a. im Rahmen von Erasmus, wird ein großes Maker Space eingerichtet, in dem z.B. Konstrukte digital designt und mit Hilfe von 3D-Druckern ausgedruckt werden können. Die Unterrichtsräume sind mit neuwertiger Präsentationstechnologie ausgerüstet, die u.a aus EU-Geldern finanziert wurden. There are two IT-rooms, one multimedia room and one language room.

Die Schule verfügt über ein exzellentes Netzwerk mit den lokalen Partnern, wie z.B. die Universität von Cantania, lokale Unternehmen und Institute, die sie in die Gestaltung ihrer Erasmusaktivitäten aktiv einbindet. So konnten wir eine Forschungsstation ‚Crea‘ der Universität von Catania für den Anbau von Zitrusbäumen in Scordia besichtigen und zusammen mit dem Team die Strategien zum Erhalt der Biodiversität unter den Bedingungen des Klimawandels betrachten.

Zudem konnten wir die Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen vor Ort in Scordia anschauen – einerseits in der Schule und andererseits in Aufnahmestationen der Stadt selbst. Neu ankommende Flüchtlinge werden in Italien in ein Programm aufgenommen, das sie systematisch sprachlich, schulisch bzw. beruflich zeitnah integriert.

Die Schüler am Liceo ‚Ettore Majorana‘ werden aktiv an Entscheidungsprozessen der Schule eingebunden und können mit vier Schülervertretern in der Schulkonferenz (8 Lehrervertreter, vier Elternvertreter und vier Schülervertreter) ihre Stimme einbringen. Zudem sind sie mit Schülervertretern aus anderen Schulen gut vernetzt. Inzwischen haben sie sich mit den Vertretern unserer Schülerschaft vernetzt und planen ein gemeinsames Erasmusprojekt zusammen.

Ähnlich wie in Deutschland sind die italienischen Schülerinnen und Schüler im Nachgang zur Corona Pandemie psychisch immer noch sehr belastet. Um sie zu unterstützen, kommt eine Schulpsychologin wöchentlich für individuelle Gesprächstermine. Sie beobachtet eine deutliche Zunahme von sozialen Ängsten bei den Schülerinnen und Schülern, wie z.B. die Angst in den Schulalltag zurückzukehren, die Unfähigkeit für die Zukunft zu planen bzw. das Gefühl der Sinnlosigkeit bremst ihre Teilnahme am aktiven Leben. In diesem Zusammenhang bietet die Teilnahme an Erasmusmobilitäten den Schülerinnen und Schülern eine sehr gute Brücke, um diese Ängste zu überwinden, besonders wenn sie in Kontakt mit den Gastfamilien treten.

Ein weiterer Fokus unseres Job Shadowing Besuches war die Lehrerausbildung in Italien. Hier war die Leitfrage, welche Good practice Strategien der italienischen Lehrerausbildung, besonders bei Seiteneinsteigern, wir bei unserer Partnerschule beobachten können? Das Programm Tirocinio Formativo Attivo (TFA) bietet einen dreijährigen, alternativen Weg zum Bildungsgang für die Lehramtsqualifikation im Bereich der Sekundarschule. Das TFA Programm ist an eine Universität angebunden, die mit den lokalen Behörden und Schulen zusammenarbeitet. Über dieses Programm können auch Lehrkräfte aus ganz Europa ausgebildet werden.

Dr. Schwab

TURNER

Schulpraktischen Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern

Ein weiterer Fokus des Job Shadowings lag auf der schulpraktischen Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. 

Im Kontext der Überlegung, dass eine gute Schule laut Referenzrahmen Schulqualität NRW (RRSQ) „ihre Aufgaben im Bereich der Zweiten Phase der schulischen Lehrerausbildung (Vorbereitungsdienst)“[1] wahrnimmt und stets entwicklungsorientiert agiert stellt sich unweigerlich die Frage:

Wie können wir die Ausbildung unserer Lehramtsanwärterinnen und -anwärter (LAA) verbessern? oder konkretisiert: Wie können die bei uns in Ausbildung befindlichen Personen bestmöglich von uns begleitet, beraten und unterstützt werden? (vgl. Kriterium 4.1.2 des RRSQ, Aufschließende Aussage A4) 

Hierbei scheinen gleich zwei Perspektiven von Interesse, die jeweils in Arbeitsfragen münden:

In Bezug auf die Perspektive der in Deutschland grundständig in Ausbildung befindliche LAA:

Welche ausbildungsförderlichen Aspekte der Ausbildung von Lehrkräften können wir, ausgehend von den Beobachtungen an unserer Erasmus+-Partnerschule, am SLG adaptieren?  

Und, in Anbetracht der Tatsache, dass in Deutschland ein Lehrermangel herrscht und vermehrt Lehrkräfte aus EU-Mitgliedsstaaten eine Lehrtätigkeit in Deutschland (vgl. EU-Anpassungslehrgang) anstreben und wir diese Personen nur dann in Ihrer Tätigkeit gut beraten können, wenn wir Hintergrundinformationen zu ihrer Ausbildung haben:

Inwiefern verläuft die Lehrerausbildung für die Sekundarstufe II in Italien anders als in Deutschland?

In Italien sind ein Universitätsabschluss sowie ein Spezialisierungs- und Schulpraktikum Voraussetzung für die Erlangung der Lehrbefähigung im Sekundarbereich II. Das Tirocinio Formativo Attivo (TFA), ein aktives Ausbildungspraktikum, das erstmals 2010 eingeführt wurde, bietet einen alternativen Weg zur Erlangung der Lehrerqualifikation für die Sekundarstufe. Die TFA-Programme werden von den Universitäten in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden auf regionaler Ebene verwaltet und bestimmen Gastschulen, an denen die Lehramtsstudenten ihr Praktikum unter der Anleitung eines Schulbetreuers oder Tutors absolvieren können. Die Aufnahme in die TFA-Programme ist wettbewerbsorientiert – die Bewerber müssen eine Aufnahmeprüfung bestehen, und die Plätze sind begrenzt. Die Themen der TFA-Kurse werden auf nationaler Ebene festgelegt und umfassen pädagogische Kompetenzen, fachliche Inhalte und eine aktive Ausbildung und Beobachtung in einer Schule unter der Leitung eines fachkundigen Lehrers als Tutor im Umfang von etwa 400 Stunden. Die TFA-Programme umfassen auch einen Englischkurs (Mittelstufe B2) und einen Kurs in Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). Die TFA-Studenten müssen eine Abschlussprüfung bestehen und einen schriftlichen Abschlussbericht über ihre Ausbildung einreichen, um die Lehrerqualifikation zu erhalten.

Im Juli 2015 wurde eine bedeutende Reform des italienischen Bildungssystems verabschiedet (legge 107/15); das Gesetz sieht eine Neudefinition der Zugangsvoraussetzungen für den Lehrerberuf und der Elemente der vorbereitenden Ausbildung für Sekundarschullehrer vor, deren Einzelheiten in künftigen Rechtsvorschriften festgelegt werden. Auf der Grundlage der Ergebnisse einer obligatorischen nationalen Eignungsprüfung, die nach dem Abschluss des Studiums abgelegt wird, erhalten die besten Absolventen des Lehramtsstudiums einen Lehrvertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren. Das erste Lehrjahr umfasst akademische Kurse, die mit einem Lehramtsabschluss für die Sekundarstufe II abschließen. In den folgenden zwei Jahren absolvieren die neuen Lehrkräfte bezahlte Praktika in Schulen. Eine positive Praktikumsbeurteilung ist Voraussetzung dafür, dass die neuen Lehrkräfte eine feste Stelle als Lehrer der Sekundarstufe und einen nationalen Vertrag erhalten.

Neu eingestellte Lehrkräfte müssen Pflichtfortbildung im Umfang von 50 Stunden absolvieren, von denen 20 Stunden über eine im Februar 2016 eingeführte Online-Plattform durchgeführt werden. Die Online-Plattform bietet nicht nur Fortbildungskurse an, sondern zielt auch darauf ab, ein digitales Umfeld zu schaffen, das die Kommunikation, die Diskussion und den Austausch von Materialien zwischen Lehrern während ihres ersten Dienstjahres erleichtert.

Die konkrete Ausbildungstätigkeit an unserer Partnerschule liegt in der Verantwortung der jeweils betreuenden Tutoren, die sich, so die erteilte Auskunft, an keinem schulinternen Ausbildungsprogramm orientieren. Die Qualität der Ausbildung scheint gewissen Schwankungen unterliegen zu sein, die mutmaßlich in der unterschiedlich stark ausgeprägten Beratungskompetenz der beteiligten Ausbilderinnen und Ausbilder begründet liegt. Eine Evaluation der Ausbildungsbemühungen unserer Partnerschule fand nicht statt. Aufgrund der obigen Schilderungen ist von einer Übernahme von einzelnen Ausbildungselementen tendenziell abzusehen. Vielmehr scheint hier ein Inhaltsbereich von Schule entdeckt worden zu sein, in dem wir mit unserer Expertise durchaus auch als Berater zur Verfügung stehen können. 

Interessant und durchaus sinnvoll erachte ich den Ansatz, dass italienische Lehrkräfte einen Kurs in Informations- und Kommunikationstechnologie absolvieren. Im Hinblick auf den Inhaltsbereich 2 des RRSQ („Lernen und Lehren im digitalen Wandel“), aufschließende Aussage A6 („Das schulische Medienkonzept bezieht die Fortbildungsplanung und Professionalisierung der Lehrkräfte systematisch mit ein.“) könnte überlegenswert sein, einen solchen Kurs, zugeschnitten auf die Bedürfnisse an unserer Schule, neuen Lehrkräften und Auszubildenden anzubieten.

Michael Turner


[1] Vgl. Referenzrahmen Schulqualität NRW, Inhaltsbereich 4: Professionalisierung, Kriterium 4.1.2.