Finnland, 08. bis 12 Mai 2023, Tornion Yhteislyseon Lukio, Erasmus+
Das Tornion Yhtheislyseon Lukio in der kleinen finnischen Stadt Tornio ist seit Teil des Erasmus+-Projekts und des Euro School Net 2000 und mit ca. 340 Schülerinnen und Schülern ein ausschließlich auf die Oberstufe ausgelegtes Gymnasium.
Bei unserem ersten Besuch vom 08.05.23-12.05.23 haben wir im Vorhinein folgende Beobachtungsziele abgestimmt:
- strategies of assessment
- digital organisation of learning and teaching and data management
- concept of individual support for students in Sixth Form – strategies of fostering
Sixth Form students individually
Diese Ziele sollten wir vor allem durch Hospitationen in zahlreichen Fächern unserer Wahl und Gesprächen mit der Schulleitung und weiteren Funktionsstellen sowie den Lehrerinnen und Lehrer erreichen.
Unsere Woche am Tornion Yhtheislyseon Lukio:
Am Dienstagmorgen um 10 Uhr, am Europatag, wurden wir von Sanna Niskakoski, der zuständigen Kollegin für Erasmus+, am Hotel abgeholt und in dem Kollegium der gymnasialen Oberstufe vorgestellt, das uns sehr freundlich aufgenommen hat. Der Schulleiter Marko Kaarlela stellte uns anschließend die Schule, das finnische Schulsystem generell und die Besonderheiten der Region, die sofort an das schwedische Städtchen Haparanda grenzt. Die anschließende Schulführung gab bereits einen guten Einblick in die Strukturen und die Ausstattung der Schule.
Das Schulgebäude ist mit vielfältigen Sitzmöglichkeiten für die Schülerinnen und Schüler ausgestattet, in denen sie in Freistunden zur Ruhe kommen, an Projekten und Aufgaben weiterarbeiten können, etc. Flure sind so optimal genutzt und kreieren eine gemütliche und einladende Atmosphäre, in der man sich sofort wohlfühlt. Trotz all dieser Aufenthaltsmöglichkeiten ist es stets sehr leise im Gebäude, was zeigt, dass die Nutzung der verschiedenen Bereiche gut etabliert ist. Aufgrund der Ausstattung der gesamten Schülerschaft mit Arbeitslaptops vom Land sind auch Ladestationen überall zu finden.
Die besuchten Englisch- aber auch Französischstunden gewährten einen Einblick in den Aufbau des Fremdsprachenunterrichts und den Umgang mit digitalen Endgeräten im Unterricht. Hier war es sehr interessant, unsere Erwartungen an den Unterricht eines skandinavischen Schulsystems – beeinflusst durch den Fakt, dass Finnland stets eine der Spitzennationen in der PISA-Studie blieb – mit dem tatsächlichen Ablauf abgleichen zu können. Anders als im deutschen Schulsystem wird im Fremdsprachenunterricht weniger Wert auf die mündliche Mitarbeit gelegt. Stattdessen werden englische Texte teils durch finnische Übersetzungen vorentlastet oder Fragen zum Text werden sowohl auf Finnisch gestellt als auch von der Schülerschaft auf Finnisch beantwortet. Dabei werden alle Aufgaben – häufig auch Lückentexte und Übersetzungen – in schriftlicher Form am Laptop gelöst, auf denen die Schülerinnen und Schüler über die Lernplattform WILMA auf alle digitalen Lehrbücher und Übungen samt Lösungen – und zwar jederzeit – zugreifen können. Papier und Stifte finden nur in Ausnahmefällen Verwendung.
Das Wahlfach Health Education – relativ neu an finnischen Schulen – beschäftigt sich mit Themen, die die Schülerschaft der Oberstufe leider viel zu häufig selbst betreffen oder in ihrem Umfeld auftreten. Hier werden unter anderem psychische Krankheiten wie Essstörungen und Depressionen und ihre Ursachen, Präventionsmaßnahmen, etc. theoretisch aufgearbeitet.
Gespräche mit weiteren Funktionsstellen, wie beispielsweise der Sonderpädagogin, waren sehr aufschlussreich, da am Tornion Yhtheislyseon Lukio auch für die Oberstufe zahlreiche Unterstützungsangebote bestehen, die es in solcher Form am St. Leonhard-Gymnasium nicht gibt. Die Sonderpädagogin bietet an drei Tagen pro Woche offene Sprechstunden an, in denen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf, aber auch mit Konzentrationsproblemen, LRS-Schwächen, etc. mit ihr in ihrem Büro an Aufgaben arbeiten, Gespräche wahrnehmen können und Testverfahren absolvieren. Nach Diagnose passt sie individuelle Förderpläne auf die Schülerinnen und Schüler an, führt Gespräche mit Elternhäusern und begleitet die Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zur Erreichung ihrer Lernziele. Geplant ist für die Zukunft, diesen bei Bedarf auch im Unterricht selbst unterstützend zur Seite zu stehen.
Die stellvertretende Schulleitung hat ebenso das Amt der Oberstufenkoordination inne, betreut die Schülerinnen und Schüler eng, erstellt gemeinsam mit ihnen Stundenpläne, berät in Karrierefragen und ist stets für individuelle Anliegen ansprechbar. Generell ist die Stundenplangestaltung in Finnland freier möglich, als wir es in Deutschland kennen und die Fächerwahl ist recht abhängig von der Studienwahl.
Ein ausführliches Gespräch mit dem Schulleiter über die digitale Bildung zeigte einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zum St. Leonhard auf. So arbeitet man ebenfalls mit heterogenen persönlichen Schülergeräten, die allerdings durch die Schule bzw. den Staat finanziert werden. Verschiedene Lern- und Kollaborationspattformen sind im Einsatz, wenngleich Google-Lösungen klar überwiegen. Datenschutzaspekte spielen hier nur eine untergeordnete Rolle. Dafür hat man auch gelegentlich WLAN-Probleme, was uns beruhigt hat.
Bei unserem Besuch im Rathaus von Tornio wurde wir von dem Verantwortlichen für Erziehung und Bildung empfangen. Er informierte uns über die Besonderheiten der Stadt Tornio und die gemeinsamen Bemühungen der finnischen und der angrenzenden schwedischen Stadt Haparanda, die Region touristisch attraktiv zu machen und Perspektiven für junge Leute in dem Gebiet zu schaffen.
Interessant war, dass die beiden Städte auch im schulischen Bereich kooperieren und das finnische Schüler/innen Schulen in Haparanda und schwedische Schüler/innen Schulen in Tornio besuchen. Da die meisten Kinder – aber tatsächlich nicht alle – in der Gegend sowohl Finnisch als auch Schwedisch in der Schule lernen, ist dieses Austausch relativ unproblematisch.
Auf unserer Frage bezüglich des ehemals sehr guten und nun nicht mehr ganz so überzeugenden Abschneidens Finnlands bei der Pisa-Studie wurde uns erläutert, dass die Integration von einer wachsenden Zahl an Schüler/innen mit Migrationshintergrund eine Herausforderung für das finnische Schulsystem ist.
Unsere Ergebnisse:
In Bezug auf die Ausstattung und Einrichtung der Schule lässt sich feststellen, dass die finnische Schule deutlich mehr Wert darauf legt, das Gebäude zu einem gemütlichen und entspannenden Ort für die Schüler zu machen – vor allem außerhalb der Klassenräume. Die technische Ausstattung der Klassenräume und und der Schüler/innen war umfangreich, allerdings ist auch die Abhängigkeit vor allem von dem digital zur Verfügung stehenden Unterrichtsmaterial sehr groß, was sich zeigte, als die Materialien an einem Tag aus technischen Gründen nicht zur Vefügung standen. Es fiel allerdings auf, dass die mediale Ausstattung in erster Linie zur Präsentation und Bearbeitung von Unterrichtsmaterial genutzt wurde, nicht aber zum Beispiel zum kollaborativen Arbeiten, Darstellung von Schülerergebnissen oder Schüleraktivitäten. Die Ausstattung aller Schülerinnen und Schüler mit Laptops zeigte den Vorteil, dass diese sehr selbstverständlich mit diesen umgehen. Gleichzeitig wurde auch ein großer Nachteil sichtbar, denn viele Schülerinnen und Schüler fokussierten sich nicht auf die Unterrichtsinhalte. Nicht förderlich schien in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit, Lösungen für alle Aufgaben des digitalen Buches jederzeit abzurufen.
Die außerunterrichtliche Betreuung der Schüler/innen durch eine Schulsozialarbeiterin, eine Krankenschwester und einen Berufsberater, die die Möglichkeit haben, sich ganz auf diesen Aufgabenbereich zu konzentrieren, ist umfassend. Die durchgehend geöffnete Kantine ermöglicht den Schüler/innen, individuell in ihren Pausen etwas zu essen.
Sowohl die Mahlzeiten als auch die Laptops, die die Schüler/innen alle im Unterricht benutzen, werden über die Schule finanziert.
Der Unterricht in Tornio ist ganz anders aufgebaut als an deutschen Schulen, das Hauptziel ist die Vorbereitung auf die Absschlussprüfungen. Ein Austausch mit den Schüler/innen, Kommunikation, Diskussion von Ergebnissen oder das kritische Betrachten von Problemstellungen finden nicht statt.
Unser Fazit:
Der Aufenthalt in Finnland war in vielerlei Hinsicht bereichernd.
Die Schule in Tornio war für das “Job shadowing” Programm besonders geeignet, da Tornio genau wie Aachen an ein anderese Land grenzt, da die besuchte Schule mit anderen Schulen in Fächern mit geringen Schülerzahlen kooperiert und das Medien durchgehend im Unterricht eingesetzt werden,
In den Kooperationskursen wurden die Schüler/innen von den anderen Schulen per Videokonferenz zum Unterricht dazu geschaltet, das ist bei uns nicht notwendig, da die Kooperationsschulen so nah beieinander liegen, dass die Schüler/innen in den Pausen die Schule wechseln können. Trotzdem wäre es eine Anregung, wenn Schultermine nicht koordiniert werden können und wichtige Stunden zum Beispiel zur Prüfungsvorbereitung nicht ausfallen sollen.
Die Betreuung der Oberstufenschüler/innen ist umfangreicher als an unserer Schule und die Ausstattung vor allem in den Aufenthaltsbereichen besonders einladend.
Ulrike Wilhelms, Boris Meltzow und Cathrin Schumacher