Erasmus Job-Shadowing Barcelona

am Institut Forat del Vent, Barcelona (Cerdanyola del Vallès)

Der erste Kontakt mit der Schule in Cerdanyola ging  von einer IB bezogenen Anfrage der dortigen Koordinatorin für internationale Projekte, Maria del Puerto Muñoz (s.Bild oben) aus, mit der sich schnell ein intensiver und lebendiger Mailaustausch ergab. Schon im Vorfeld unseres Besuchs wurde deutlich, dass unsere beiden Schulen viele strukturelle und organisatorische Gemeinsamkeiten haben:

Beide Schulen bieten in der Oberstufe mehrere bilinguale Abschlüsse an: einen staatlichen Abschluss, einen Doppelabschluss des spanischen Baccalaureates (BATX) zusammen mit dem IB Diploma (s. https://www.ibo.org/es/school/060929), und außerdem einen bilingual französischen Abschluss (BACC). Letzterer ist dort (anders als bei uns) leider nicht mit dem IB vereinbar. Außerdem gibt es einen Abend / Nachmittagszweig als Alternative zum Vormittagsunterricht (BATX Nocturn).

Ähnlich wie unsere Schule handelt es sich bei dem Institut Forat del Vent (wörtlich „Windloch“) um ein überschaubares System mit ca 800 Schüler:innen und ca 70 Lehrer:innen. Andere Gemeinsamkeiten sind räumliche Engpässe und anstehende bauliche Modernisierungen des Gebäudes v. 1978, teilweise bedingt durch die Tatsache, dass die Attraktivität dieser Mehrfachqualifikation Familien auch aus dem weiteren Umkreis anzieht und gleichzeitig die lokale Grundschulklientel ohne Zulassungsbeschränkung bevorzugt in diese Gesamtschule aufgenommen wird. Hieraus ergibt sich eine angeblich recht heterogene Schülerschaft, ergänzt durch die Inklusion von Kindern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. Wir haben allerdings bei unserem Aufenthalt eigentlich alle Schüler als durchweg offen, freundlich und leistungsbereit erlebt…

Interessant war für uns besonders die Kombination des staatlichen Abschlusses mit dem IB (seit 2020):

Anders als bei uns wird die IB-Klasse wird wie eine Profilklasse in den letzten beiden Stufen bis zum bilingualen (spanisch-katalanischen) Abschluss geführt, wodurch viele Fächer beim Start bereits festgelegt sind. Offenbar ist diese Version im spanischen Schulsystem möglich und erlaubt den Schülern, beide Abschlussprüfungen, also das spanische Abitur und das International Baccalaureate – zeitgleich abzulegen (mit Prüfungen im Mai (IB) und Juni. 

Die 25 Schüler:innen des 1. IB-Jahrgangs (Q1) haben uns mit großer Begeisterung willkommen geheißen und uns das IB-Programm und ihre CAS-Aktivitäten anhand von Präsentationen in englischer Sprache vorgestellt.

 Das IB-Fächerangebot weicht leicht von unserem ab, ist aber in mancher Hinsicht auch ähnlich: Englisch B wird mit Spanisch A und Katalanisch A kombiniert; der Bereich „Arts“ (Group 6) wird hier immer durch eine Naturwissenschaft ersetzt. In den MINT-Fächern kann eine Kombination zwischen Biologie o. Physik mit Informatik o. Chemie gewählt werden. Die Ausrichtung des IB-Mathematikunterrichtes ist die gleiche wie an unserer Schule (Analysis and Approaches), allerdings kann man hier Mathematik als Higher Level wählen – für uns ein interessantes Thema. Wir durften in den IB Kursen Mathematik und Biologie hospitieren und haben dabei auch ganz „normalen“ Unterricht gesehen (teils frontal, teils experimentell) und dabei erfahren, wie die weltweit gleichen curricularen IB-Vorgaben den direkten thematischen Einstieg vereinfachen und auch eine problemlose schul- und länderübergreifende fachbezogene Kommunikation unter Schüler:innen und Kolleg:innen ermöglichen.

Die IB Schüler:innen in Cerdanyola empfinden ihre Aufnahme in den IB Zweig als Privileg (es gibt mehr Bewerber als Plätze und Aufnahmeprüfungen in Englisch und Mathematik) und sie reisen teilweise von weiter entfernten Orten an, um diesen Abschluss machen zu dürfen – obwohl auch hier die „Umrechnung“ in das spanische Abschlusssystem nicht ganz unkompliziert ist und z.B. für ein Medizinstudium die BATX Punktzahl vorteilhafter ist.  Daher entscheiden sich fast alle IBler für den Doppelabschluss, obwohl sie sich theoretisch auch auf das IB beschränken könnten. 

Eine Kombination von einzelnen IB-Zertifikaten mit dem staatlichen Abschluss ist nicht vorgesehen; das bedeutet weniger Flexibilität, aber gleichzeitig mehr Zusammenhalt im IB Zweig. So wird die erhebliche Doppelbelastung in der Gruppe recht gut aufgefangen.

Das IB wird durch den engen Kursverband in mancher Hinsicht zum „System im System“ für außergewöhnlich leistungsbereite Schüler:innen, was Vor- und Nachteile mit sich bringt:

Wie am SLG arbeitet auch diese Schule an der Integration des IB Zweigs in der ganzen Schulgemeinschaft und – wie bei uns – stellen CAS Aktivitäten ein wichtiges Bindeglied dar, wobei das Thema Umwelt und Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt: 

Neben „privaten“ Activity, Creativity und Serviceprojekten engagieren sich die IB Schüler in der Gestaltung des Schulgebäudes, durch Hilfe bei Schulveranstaltungen (wie auch im großen Sponsorenlauf, dem Aushängeschild der Schule, s. Bild) der Betreuung weniger leistungsfähiger Mitschüler und auch in einer gerade entstehenden Umwelt-AG, die z.B. Müll- , Kleider- und Büchersammlungen organisieren und ihre Aktivitäten über Homepage und soziale Medien (Instagram) mit der Schulgemeinde teilen möchte. Ermöglicht werden viele dieser Aktivitäten durch eine Zusammenarbeit mit der Caritas. 

Eine andere Möglichkeit des schulischen Engagements bietet der ‚organic school garden‘, in dessen Rahmen Schülerprojekte mit unterschiedlicher Zielsetzung, u.a. für Schüler mit Handicaps, durchgeführt werden können. Dieser Schulgarten bietet die Möglichkeit der Handarbeit für Schüler, die sich nicht lange konzentrieren können.

Er dient ebenfalls dem Anbau von besonderen wissenschaftlich interessanten Pflanzen (Tree-Onions, wir duften zwei mitnehmen!), und der Züchtung von Samen für die nächste Pflanzengeneration.

Der Projektgarten ist trotz seiner geringen Größe ein Modell für nachhaltige Nutzpflanzenzucht und wassersparende Bewässerung (das System war ebenfalls Ergebnis eines Schülerprojektes).

Interessant für das Thema Umwelt und Nachhaltigkeit ist neben der Umwelt-AG und dem Schulgarten auch das Technology/Recycling-Projekt (s.u.), das eine Verknüpfung der Themen Umwelt / Nachhaltigkeit mit dem Bereich Science / Technology darstellt! 

Hier ergeben sich vielfache Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit unseren CAS Schülern und der SV / Umwelt-AG für die Zukunft!

Ein weiterer Beobachtungsschwerpunkt unseres Besuches war der Umgang der Schule mit den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Hier konnten wir viele interessante Beobachtungen machen.

Trotz ihrer manchmal altmodisch anmutenden Räumlichkeiten ist die Schule mit moderner Projektionstechnologie in jedem Raum digital bestens ausgerüstet. Seit der Pandemie hat jeder Schüler und jeder Lehrer der Schule von der lokalen katalanischen Behörde einen Laptop zur Verfügung gestellt bekommen. 

Die digitale Platform der Schule „Clickedu“ (entstanden in Katalonien und inzwischen in ganz Spanien vielfach Standard) wird zugleich als Lernplattform und als Messenger genutzt; über die Plattform haben die Schüler/ Lehrer auch Zugang zu Moodle und google classroom

Die Clickedu-Oberfläche enthält Elemente aus Untis (Stundenplan, digitales Klassenbuch, etc.) und erlaubt auch die Kommunikation mit Eltern: Sie können (wie auch die Kinder) Noten in Clickedu einsehen und auch Beratungstermine vereinbaren!

Klar zu erkennen ist, dass das Äquivalent zum Medienkompetenzrahmen NRW hier sehr bewusst sowohl für Schüler als auch für Lehrkräfte umgesetzt wird und die Entwicklung von digitalen Kompetenzen einen sehr hohen Stellenwert hat. 

 In dem Interview, das wir mit den Schülern der IB Klasse machen durften, wurde deutlich, dass die Nutzung von Lernplattform und anderen digitalen digitale Techniken besonders durch die Pandemie sehr weit vorangekommen ist. 

Ein „Expert“-Talk mit dem Median-Administrator offenbarte außerdem ähnliche Herausforderungen wie am SLG, was die IT Schülerverwaltung etc. angeht (viel Arbeit f. wenig Entlastung ;), aber andererseits auch eine sehr gute Betreuung durch die Telefonica/O2 bzg. Maintenance und WLAN-Ausleuchtung in allen Räumen. Beneidenswert…

Die Schüler (auch der Mittelstufe), die wir beobachten durften, waren sehr kompetent im Bereich der Medienanwendung und präsentieren z.B. vielfach Ergebnisse ihrer kollaborativen Arbeit über die Erstellung von Websites  – genutzt wurden dazu v.a. Google Sites und „WIX“.

Die Notwendigkeit zur kritischen Reflexion des Umgangs mit Medien ist dabei durchaus im Bewusstsein (und wie bei uns ist z.B. die Handynutzung im Schulgebäude untersagt), aber der Gebrauch von Google und werbebasierten Tools (s.o.) ist üblich und z.B. Instagram das (weitgehend unhinterfragte) Medium zur Kommunikation unter Schülern. Datenschutz und mediale Unabhängigkeit hatten nach unserem Eindruck einen geringeren Stellenwert als am SLG, allerdings gab es augenscheinlich wenig organisatorische Hindernisse, z.B. beim Austausch von Daten und dem Teilen von Inhalten.

Der Technikraum zusammen mit den naturwissenschaftlichen Räumen steht für den MINT-Schwerpunkt, den die Schule bewusst neben den Sprachenprofilen AbiBac und IB-Programm legt. In der 1. Klasse der Sekundarstufe haben die SchülerInnen das verbindliche projektorientierte Unterrichtsfach STEAM (Science, Technology, Engineering, Arts, Mathematics), in der 3. ESO-Klasse gibt es für die naturwissenschaftlich begabteren das Wahlpflichtfach STEM). 

Besonders der Technikraum mit seiner großen Anzahl von 3D Druckern war sehr eindrucksvoll. Hier haben die Schüler:innen z.B. Teile eines Puzzles über eine Handy-App programmiert, die anschließend mit einem 3D Drucker ausgedruckt wurden. 

Am letzten Tag unses Besuchs wurden wir Zeugen der Inbetriebnahme eines „Roboterprojekts“ der 4. ESO-Klasse (Bild rechts): Es handelte sich um eine von den Schüler selbst gestaltete und programmierte Modell-Recycling-Anlage, die eine Materialerkennung und Sortierung mit anschließendem Abtransport von eingeworfenen Müllteilen (z.B. Cola-Dosen) bereitstellte. Da auch hier LEGO-Module genutzt wurden (in Kombination mit „ausgedruckten“ Kunststoffteilen aus den 3D Druckern) ergeben sich hier vlt. Anknüpfungspunkte mit unserer Roboter-AG… (Wir haben davon erzählt und der technikbegeisterte Schulleiter Jordi (s. Bild) , der diesen Kurs unterrichtet, war sehr interessiert und offen dafür!). 

Besonders spannend waren für uns als „Job-Shadower“ auch „weiche“ Kriterien wie Atmosphäre, Schulphilosophie und Werteorientierung. 

Als Besucher wurden wir sehr gastfreundlich und herzlich aufgenommen: Der Schulleiter Jordi Fernández und sein Kollegium haben uns sehr nett und mit großem Interesse begrüßt. Während der Führung durch das Schulgebäude konnten wir schon die ersten Gespräche mit den Kollegen und den Schüler:innen führen und viel soziales Engagement spüren (z.B. CAS/Sponsorenlauf, Inklusion, Schulgartenprojekt, etc.). 

Ebenfalls erfahrbar war auch eine deutliche pädagogische Schülerorientierung (neben manchmal auch eher traditionell-frontalem Unterricht ;), und eine sehr offene und partnerschaftliche Beziehung zwischen Schulleitung und Kollegium sowie Schüler:innen und Lehrern. Außerdem erkennbar war der für IB Schulen typische internationale Geist– die Schule pflegt u.a. den Austausch mit einer französischen und einer schwedischen Partnerschule und fühlt sich als Teil der weltweiten IB Community. Insgesamt wurden wir reich beschenkt – nicht nur durch die vielen Kontakte, Präsentationen und Erfahrungen, sondern auch mit einem kleinen Abschiedsgeschenk: T-Shirts des Sponsorenlaufs und eine Flasche Wein für jede(n). 

Was nehmen wir – außer den Abschiedsgeschenken und dem Leben und Licht der wunderbaren Stadt Barcelona – mit zum SLG??

Viele Aspekte erscheinen und inspirierend und nachahmenswert, so z.B. 

  • die vorbildliche Organisation eines gelungenen „Job Shadowing“ mit vielen Gelegenheiten zum informellem Austausch, Schülerpräsentationen, Wertschätzung (Aufmerksamkeiten, eigenem Besprechungsraum, englischsprachiger Begleitung bei allen Sessions, und (trotz unseres Protests) einer kostenlosen Bewirtung mit Kaffee und Boccadillos. 
  • die gelingende Zusammenarbeit (auch im Rahmen des CAS Programms) mit NGOs z.B. bei der Organisation des Sponsorenlaufs: zur Anmeldung wurde statt Geld 1kg Nahrungsmittel für die Tafeln erbeten – so konnten auch ärmere Familien problemlos spenden.
  • Ideen für die Gestaltung im Schulgebäudes, u.a. von (IB-)Schülern: Wandmalerei, Poster für Schulaktivitäten, die von SchülerInnen entworfen wurden (ganz ähnlich wie bei uns)
  • Viele Projekte, die über selbst gestaltete Schülerwebsites präsentiert wurden, z.B. als „Escape-Rooms“, die als Lernmaterial für Mitschüler dienten… usw…usw.

Außerdem eröffnete unser Besuch zahlreiche Perspektiven für die zukünftige Kooperation mit dem Institut Forat del Vent.

Angedacht ist bereits eine projektbezogene Schülermobilität nach Barcelona im April mit einer Priorität für Schüler:innen der Oberstufe, die sich im IB / CAS-Programm, in einem schulischen Umwelt- / Müll-Projekt oder in der SV engagieren. Wir würden gerne gemeinsam am Fluss und Strand Müllsammelaktionen durchführen und (ggf. web-basiertes) Awareness-Raising betreiben (und auch versuchen, mit dem Bus zu fahren, um Flugemissionen zu vermeiden). 

Ebenfalls geplant ist ein Besuch der Spanier:innen bei uns in der Woche vor den Sommerferien, sodass wir das Projekt im Rahmen der Projekttage fortführen können.

Vielleicht gelingt uns ja auch eine weitere Zusammenarbeit in den Bereichen Technik / Informatik oder im Rahmen eines Sprachprojektes (Englisch / Spanisch / Katalan). 

Wir freuen uns auf das, was kommt 😊

Sonja Rustemeyer 

Renate Schwab

Rainer Lück